Digitalisierung an Schulen: „Wir brauchen eine echte Kultur“
Seit Pandemie-Beginn müssen auch die Schulen das Thema Digitalisierung umsetzen. Echten Vorbildcharakter hat die Edewechter Oberschule. Tablets, Apple TV, Glasfaserleitung und Beamer in allen Unterrichtsräumen: Für Schulleiter Peter Röben und seine Kolleginnen und Kollegen ist das längst Alltag. Im Interview erzählt er, wie man digitale Inhalte spannend und motivierend aufbereiten kann.
Oberschulrektor Peter Röben © Henning Pickert |
Herr Röben, mit Corona mussten viele Schulen innerhalb weniger Tage und Wochen auf Digitalunterricht umstellen. Warum gibt es hier und da noch Schwierigkeiten?
Es muss hierzulande noch eine richtige Kultur der Digitalisierung entstehen. Damit haben wir schon lange vor Pandemie-Beginn bei uns an der Schule angefangen. Es hat vieles gepasst: Als unsere Gebäude vor ein paar Jahren modernisiert wurden, hat uns EWE gefragt, ob wir einen Glasfaseranschluss haben wollen.
Wie wird denn Digitalisierung an der Edewechter Oberschule umgesetzt?
Wir haben zwei Koordinatorenstellen für Medienbildung geschaffen und überall WLAN und Beamer oder digitale Tafeln in allen Räumen. Es gibt ein Schulfach, das sich „ICTM“ nennt, „Information, Communication, Technology & Media“. Wir wollen alle Kinder ab Jahrgang 5 so fördern, dass sie gewisse Grundlagen beherrschen. Wie erstelle ich ein sicheres Passwort? Wie programmiere ich kleine Sachen? Wie gehe ich kompetent mit Medien um? Wie schütze ich mich vor Cybercrime? Da spielen nicht nur reine Informatikinhalte mit rein, sondern auch viele andere Bereiche. Wir zeigen den Kindern auch, dass sie mit iServ (Anmerk. Digitale Schulplattform) deutlich mehr machen können, als nur eine E-Mail zu schreiben. Ab Jahrgang 7 gibt es bei uns die Möglichkeit, dass man die Inhalte über Wahlpflichtkurse auch vertiefen kann.
Haben Sie spezielle Räume dafür?
Wir haben einen Informatikraum mit 16 Rechnern, eine Mediathek mit dreißig Plätzen, einen Raum mit 16 weiteren Computern und rund 80 Tablets. Die festen Orte rücken aber immer mehr in den Hintergrund, denn wir setzen verstärkt mobile Konzepte um. Kürzlich haben wir Beamer und Apple TV in allen Klassenräumen installiert, zudem gibt es in allen Fachräumen Airplay-fähige digitale Tafeln. Und es gibt noch ein Roboterlabor, das gerade in der Planung ist.
Und der digitale Unterricht? Wie läuft der ab?
Wir müssen nicht drum herumreden: Die Zeit, die wir seit Pandemiebeginn erleben, ist auch für uns eine große Herausforderung. Eine Umfrage unter den Eltern hat gezeigt, dass es einen Wunsch nach mehr Struktur gibt. Zu Beginn lief der Unterricht noch stärker auf Aufgabenbasis, jetzt wird ein Großteil des Unterrichts für die, die nicht in der Schule sind, live nach Hause übertragen. Das funktioniert erstaunlich gut.
Gab es eine Initialzündung für die digitale Offensive an Ihrer Schule?
Ich bin 2019 über ein Erasmus-Plus-Projekt für Schulleiterinnen und Schulleiter nach Estland gereist und habe mir dort angeschaut, wie Digitalisierung an Schulen in Tallinn funktioniert. Die Esten sind darin Vorreiter. In Estland gibt es etwa einen Rechtsanspruch auf eine Breitbandverbindung, damit jeder funktionierendes Internet hat. Da geht der Blick nicht nur in die Schulen, sondern auch auf die Kinder, die irgendwo abgeschieden auf dem Land wohnen und ebenso am Digitalunterricht teilnehmen wollen. Gemeinsam mit vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen sind wir danach intensiv Veränderungen auch bei uns angegangen.
Was ist Ihnen noch aufgefallen? Was hat Sie begeistert?
Digitalisierung wird in Tallinn viel natürlicher und selbstverständlicher gesehen als bei uns. Das mache ich nicht an einer High-Tech-Ausstattung fest. Man kann auch mit kleinen Mitteln viel erreichen. Es war vor Ort auch nicht so, dass in den Schulen tausende Tablets zum Einsatz kamen und alles digital stattgefunden hat, aber digitale Inhalte werden überall dort eingesetzt, wo es sehr sinnvoll ist.
Ein Beispiel?
Ein Kind, dass in der ersten Klasse Lesen und Schreiben lernt, braucht grundsätzlich noch kein Tablet. In der Grundschule werden dort aber etwa kleine Roboter mit drei verschiedenen Tasten im Unterricht eingesetzt. Über einen sehr spielerischen Ansatz bekommen die Kinder somit erste Programmierkenntnisse vermittelt und lernen, wie man ganz anders an Situationen herangeht: Hier ist ein kleines Problem, finde eine Lösung dafür! In den Klassen 5 und 6 bauen die Kinder einen anspruchsvolleren Roboter, der eine interaktive Landkarte abfährt und zu Estlands Sehenswürdigkeiten digitale Inhalte liefert, etwa ein Video oder einen Podcast.
Hat das den Schülerinnen und Schülern gefallen?
Natürlich. So eine Projektarbeit empfinden die Kinder als unglaublich motivierend. Sie lernen wichtige Fakten für Geschichte und Erdkunde, aber gleichzeitig auch mit digitalen Inhalten zu arbeiten. Drohnen-Flugkurse gefallen den Schülerinnen und Schülern ebenfalls sehr gut. Dabei werden Drohnen über der Schule steigen gelassen, um an einem vorgegebenen Punkt in der Umgebung ein Foto zu machen. Wie das genau funktioniert, müssen die Kinder selbst herausfinden.
Was haben Sie daraus gelernt?
Projektunterricht finden Kinder meistens spannender. Selbstständig die Lösung für eine Problemstellung zu entwickeln sorgt für große Motivation. Ist Estland entwickeln die Schülerinnen und Schüler sogar eigene Projekte – und setzen nicht nur Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer um. Die Kinder in Estland und bei uns sind im Privaten immer mehr von digitalen Inhalten umgeben, daher muss auch der Unterricht stärker in die Richtung gehen. Komplett digital wird der Unterricht aber auch in zehn Jahren nicht sein. Wir müssen die gesellschaftlichen Entwicklungen in Zukunft gut in der Schule abbilden. Und dafür sind Menschlichkeit und persönliche Begegnungen in echt immer noch sehr wichtig.